Der reife Apfel fällt vom Baum

Der reife Apfel fällt vom Baum

In meiner Arbeit erlebe ich immer wieder, wie Menschen Angst davor haben, ich könnte etwas in ihnen auslösen, was sie überfordern würde, dass ich zu sehr in die Konfrontation gehen könnte. Diese Sorge nehme ich sehr ernst und aus diesem Anlass, schreibe ich meinem monatlichen Blogbeitrag davon.

Dazu erzähle ich Dir eine kleine Geschichte aus meinem Leben:

Das Praktikum hatte ich absolviert, doch ich war noch nicht 18 Jahre alt, das geforderte minimale Alter, um die Ausbildung zur diplomierten Pflegefachfrau zu beginnen. So arbeitete ich 10 Monate lang auf einer Intensivstation als «Schwesternhilfe». So nannte man die Pflegehelferinnen früher.
Mein Interesse galt ausschliesslich – schon damals – den Geschichten der Patienten. Besonders den Menschen, die nach einem Koma aufwachten und nur knapp einen Herzinfarkt oder einen Suizidversuch überlebten.
Das Bedürfnis zu reden war bei vielen Patienten gross. Da ich echtes Interesse zeigte und oftmals genügend Zeit hatte, erzählten sie offen und direkt über sich, ihr Leben, ihre Erkrankungen, Verluste, Kränkungen und Schmerzen.
Doch warum vertrauten sie sich mir an? Weil sie von mir nichts zu befürchten hatten.
Ich verabreichte keine Spritzen, säuberte keine Wunden, steckte keinen Katheter, saugte keinen Schleim ab. Nichts von alldem, denn ich arbeitete nie selbständig direkt am Patienten.

Einfach gesagt: Ich war für das Drumherum zuständig, fürs Aufräumen, Reinigen, Auffüllen und nicht für die Klienten selbst. So löste ich keinen Druck bei ihnen aus, was sie entspannte und offener machen liess.

Die Dreiteilung nach einem traumatischen Erlebnis

Nach einem schweren Trauma ist das Leben oftmals anders als zuvor. Kann das Erlebte nicht integriert und verarbeitet werden, fristet das daraus entstandene Trauma meist ein bewusst oder unbewusst abgespaltenes Dasein. In meiner Ausbildung in Psychotraumatologie lernte ich die Dreiteilung, der sogenannten Trauma-Trinität kennen: Die Ignoranz-Fragilität-Kontrolle nach Ellert Nijenhuis.

Der Ignoranz-Teil lebt nach dem Trauma normal weiter, erfüllt die Alltagspflichten, als wäre nichts passiert, er ignoriert das Trauma. Er wird als «gesunder» Erwachsenen-Teil gesehen, der das Weiterleben ermöglicht. Oftmals ist es jedoch ein Funktionieren statt ein authentisches Leben.

Der Fragilität*-Teil trägt das Trauma, mehrheitlich abgekapselt vom Bewusstsein, in sich. Oft handelt es sich um verletzte Kind-Teile oder ein Trauma-Teil nach einem schlimmen Erlebnis. Diese zeigen sich unter anderem in Form von Phobien, Panikattacken, sonstigen Ängsten, Depressionen, Suchtverhalten, etc.

*Fragilität bedeutet Verletzlichkeit

Der Kontroll-Teil überwacht das Ganze als übergeordnete Moralinstanz. Er versucht, als Schutz vor weiteren Verletzungen, nichts Gefährliches mehr an die Person heranzulassen. Dieser Teil wird oft auch Wächter genannt, ich bevorzuge den Begriff Beschützer.

Diese Aufteilung in der Psychologie des Menschen ist nicht neu. Bereits der bekannte Psychoanalytiker Sigmund Freud entwickelte das Modell vom ICH/ÜBER-ICH/ES.
ICH als Erwachsener und Manager vom Alltag, ÜBER-ICH als Moralinstanz, welche das eigene Verhalten in Übereinstimmung mit eigenen Wertvorstellungen bringt und ES als lustbezogene, kindliche Bedürfnisse.

Es gibt einige weitere Modelle, welche mit den inneren Persönlichkeitsteilen arbeiten. Beispiele, ohne weiter darauf einzugehen, sind: Ego-State, Schematherapie, «Das innere Team» von Schulz von Thun oder die Transaktionsanalyse.

In der psychiatrischen Pflege* arbeite ich oft mit schwer traumatisierten Menschen. Diese Menschen zeigen zum Teil starke Widerstände, die das Weiterkommen bei schwierigen Themen enorm erschweren. Ziel ist es jeweils, in kleinen Schritten das Erarbeiten von Sicherheit und Vertrauen aufzubauen, um der Stagnation entgegenzuwirken.
Oft zeigt sich ein starker Kontroll-Teil in Form von innerer Wächter oder Beschützer. Dieser schlägt Alarm vor allem Neuem, Unbekanntem oder Verdächtigem. Alles, was das innere System gefährden könnte.

*Ich arbeite nur noch 30 % in der psychiatrischen Pflege vor Ort und nehme auch keine Neunanmeldungen mehr entgegen.

Warum brauchst Du keine Angst vor der Zusammenarbeit zu haben?

Sind die Widerstände zu gross, ein Weiterkommen in der Alltagsumsetzung nicht möglich, so respektiere ich das und nehme möglichst den Druck aus der Situation.
Oftmals stecken hinter starken Widerständen traumatische Verletzungen, in Form von verletzten, fragilen Teilen. Der Erwachsene Teil weiss nicht immer davon. Das Erlebte war vermutlich zu schrecklich, zu schmerzhaft und durfte nicht sein, so wurde es ins Unterbewusstsein verschoben. Der Kontroll-Teil hat seinen «guten Grund», weshalb er so stark in den Vordergrund tritt: Er will die Person als Gesamtes schützen, damit sie nicht vom erlebten Trauma überwältigt wird.

Ich arbeite dann jeweils mit dem, was sich zeigt, dass was nach oben ins Sichtbare/Bewusstsein gespült wird. Dieses Ersichtliche nenne ich jeweils «reife Äpfel, die fallen». Meine Klienten finden diese Metapher sehr angenehm und entlastend, ja, sogar lustig. Reife Äpfel fallen immer zum richtigen Zeitpunkt, das ist meine jahrzehntelange Erfahrung. Weisst Du, warum das so ist? Weil es in der Natur des Traumas liegt, dass es aufgelöst werden möchte. Wie ein Spiessen im Finger, welcher sich nach aussen herausarbeitet und heilt, so will auch ein Trauma sich möglichst auflösen.

Ich zitiere hier Dr. David Berceli:
Wir sind genetisch darauf programmiert zu wissen, dass wir im Leben Traumata erfahren werden, dass wir in der Lage sind, Traumata zu überstehen und dass wir tatsächlich auch vom Trauma genesen können.
Wäre das nicht möglich, wäre unsere Spezies ausgestorben. Traumata sind fester Bestandteil unserer evolutionären Entwicklung.

* David Berceli ist ein US-amerikanischer Bioenergetiker, Psychotherapeut, Massagetherapeut, Theologe und Sozialarbeiter. Er entwickelte die TRE-Methoden (Tension and Trauma Releasing Exercise), um damit traumatische Erfahrungen, posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) und starke Stressbelastungen auflösen zu können.

Bist Du reif, respektive bereit?

Wenn Du spürst, dass der Apfel reif ist, dann gehe die Trauma-Verarbeitung an. Du fragst Dich jetzt, wie Du vorgehen sollst. Ich rate Dir zu drei Schritten:

  1. Sage Dir innerlich: Ja, ich will und ich bin bereit dazu, die Veränderung nun endlich anzugehen.
  2. Nimm Deine Angst an die Hand und geht gemeinsam auf den Weg.
  3. Melde Dich zu einem kostenfreien, limitierten Klarheitsgespräch und wir schauen gemeinsam Deine Situation in aller Ruhe und ohne Druck an. Versprochen.

Zum Verständnis

Wenn ich von Persönlichkeitsteilen spreche, so ist niemals eine Person mit Schizophrenie oder eine Person mit mehreren, multiplen Persönlichkeiten gemeint. Persönlichkeitsteile sind Aspekte der gleichen Person, welche die Erlebnisse in sich tragen und entsprechend Denken, Fühlen und Handeln.