Mein innerer Akku ist leer

Mein innerer Akku ist leer

Fühlst Du Dich bereits nach dem Aufstehen müde? Du schonst Dich den ganzen Tag, doch Dein innerer Akku kann sich einfach nicht aufladen? In diesem Blogbeitrag stelle ich den Vergleich zu einem Smartphone her und erzähle Dir aus einer wahren Begebenheit mit einer Klientin.

Viele Gedanken zur gleichen Zeit

Vor einiger Zeit habe ich eine eindrückliche Situation während meiner Arbeit mit einer Klientin erlebt:

Ich begleite Laura Volk* zu ihrem Hausarzt. Der Weg dorthin stresst sie wahnsinnig, Befürchtungen kommen auf, was alles passieren könnte.

*Name geändert

Da wir genügend Zeit haben, bleiben wir für einen Augenblick stehen und ich führe eine Achtsamkeitsübung durch:

«Liebe Frau Volk, was hören, sehen, fühlen Sie jetzt gerade?», frage ich.

Ihre Antwort ist: «Ich höre die Vögel zwitschern, sehe die Frau im Garten arbeiten, spüre den Wind in meinem Gesicht. Dies fühlt sich gut an. Wenn da nicht diese Gedanken wären».

«Welche Gedanken?», frage ich neugierig nach.

Sie erwidert: «Während ich all dies wahrnehme, denke ich gleichzeitig daran, dass

  • ich noch eine Einkaufsliste für heute Nachmittag schreiben muss.
  • der Wind mein Haar zerzaust und ich bestimmt schrecklich aussehe.
  • ich Fragen an den Hausarzt habe und diese nicht vergessen darf.
  • meine Mutter auch immer gerne im Garten arbeitete, bevor sie starb.
  • ich meine Mutter sehr vermisse.
  • mein Vater ein A… ist, weil er mich als Kind geschlagen und in den Keller gesperrt hat.
  • ich nicht mal fähig bin, ein paar Pflanzen auf dem Balkon zu halten und diese Frau so einen prächtigen, grossen Garten hat.
  • der Mann mit seinem Hund, der auf dem gleichen Trottoir zu uns hinläuft, mir Angst bereitet.
  • ich schwach bin und es nicht einmal schaffe, alleine zum Hausarzt zu gehen.
  • mir etwas Fürchterliches passieren könnte.
  • ich dringend mit der Katze zum Tierarzt müsste, doch das Geld diesen Monat nicht ausreicht.

Ich bin ziemlich platt von der ganzen Aufzählung.

Ungläubig frage ich: «All dies haben Sie während der Achtsamkeitsübung gedacht?»

Sie lacht und meint, dies sei immer so. Die Gedanken prasseln nur so auf sie ein, oft sind diese schlecht, spornen sie zu mehr Leistung an, sie solle sich mehr zusammenzureissen, nicht weinen. Die Gedanken sagen ihr auch, wie wertlos sie sei, und dass sie keine Daseinsberechtigung habe. Sie werde sich jedoch nichts antun, versichert sie mir.

Dann fragt mich Laura Volk, weshalb sie wohl immer so müde sei. «Wenn ich aufstehe, bin ich bereits wieder müde. Ich schone mich, verausgabe mich nicht, aber trotzdem füllt sich mein Akku einfach nicht. Ich fühle mich wie auf Reserve. Der Akku blinkt, weil er bald leer ist. Was ist nur los mit mir?»

Ich antworte ihr auf unser Gespräch bezogen: «Das ist durchaus nachvollziehbar bei so vielen einprasselnden Gedanken».

Was hat denn das damit zu tun?» fragt mich Laura Volk. Für sie ist dieser Zusammenhang nicht ersichtlich.

Der Vergleich von Persönlichkeitsteilen mit Apps

 Da kommt mir der Vergleich mit dem Smartphone in den Sinn.

«Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Smartphone mit ganz unterschiedlichen Apps», erkläre ich Laura Volk. «Wenn viele der Apps gleichzeitig aktiv sind, dann verbraucht der Akku innert kurzer Zeit viel mehr Energie. So ist es auch mit den Persönlichkeitsteilen, wenn diese zur gleichen Zeit aktiv sind.»

Hier ein paar Persönlichkeitsteile, die wie Apps auf dem Smartphone gleichzeitig aktiv sind:

  • Der minderwertige Teil vergleicht sich mit anderen, fühlt sich nicht hübsch genug.
  • Der wertlose Teil sieht keine Daseinsberechtigung.
  • Der angstvolle Teil äussert Befürchtungen und Zukunftsängste.
  • Der verletzte Teil grübelt über die Vergangenheit nach.
  • Der gewissenhafte Teil zählt wiederholt auf, was noch alles zu erledigen ist.
  • Der schützende Teil kontrolliert alles, um Sicherheit zu erlangen.
  • Der Perfektionismus ist unerbittlich in allen Details, um keine Verletzlichkeit zu zeigen.
  • Der Wut-Teil wird unterdrückt, um ja niemanden zu brüskieren.
  • etc.

Wenn so viele Persönlichkeitsteile gleichzeitig aktiv sind, dann sind dies starke «Energiefresser», da sie sich unkontrolliert und durcheinander melden. Es fehlt eine gezielte Richtung, eine Strategie und auch die Kontrolle. Dies verbraucht sehr viel Energie.
Wenn somit die dringende Erholung fehlt und das Gedanken-Karussell sich auch noch im Bett weiterdreht, dann kann der Akku sich definitiv nicht mehr aufladen.

Wie lassen sich diese Persönlichkeitsteile/Apps schliessen?

Die Persönlichkeitsteile haben alle ihre Daseinsberechtigung. Sie haben ihren guten Grund, warum sie im Leben einer Person vorhanden sind. Sie alle wollen gehört und ernst genommen werden. Das ist ja auch in Ordnung. Sie sollen jedoch nicht so unkontrolliert und durcheinander funktionieren. Da gehen die Stimmen von den gesunden Persönlichkeitsteilen unter, besonders vom Erwachsenen-Teil.

Höre Deinen inneren Stimmen zu, was diese zu sagen haben. Welche Sorgen, Nöte, Ängste, aber auch Freude, Wünsche und Gutes haben sie?

Wenn diese Persönlichkeitsteile aus früheren Zeiten stammen (zum Beispiel: mein Vater hat mich immer, wenn ich böse war in den Keller gesperrt, deshalb habe ich so Angst vor dem Keller und dem Alleinsein im Dunkeln), dann lasse sie wissen, dass diese Zeiten vorbei sind, Du jetzt eine erwachsene Person bist und sie nichts mehr zu befürchten haben.

Dazu gibt es eine wunderbare Visualisierungsübung von Ajahn Brahms aus dessen Buch »Die Kuh, die weinte» (2006), die auch vielen Menschen mit Traumafolgestörungen helfen konnte und kann:

Innere Teile im Herzen annehmen

Denke an einen Persönlichkeitsteil Deiner selbst, der glücklich und unversehrt in Deinem Herzen wohnt. Stell Dir nun Dein Herz als ein rotes Türchen auf der Brust vor.

Öffne die Tür und schaue Dich um. Zu Deinen Füssen siehst Du lauter leidende Menschen – klein, hilflos und verletzt am Boden. Betrachte sie als die leidenden und hilflosen Teile Deiner selbst, die Du ausgesperrt hast. Dann lasse eine Leiter herunter, hole die Unglücklichen einen nach dem anderen herauf und begrüsse jeden Einzelnen von ihnen liebevoll mit den Worten: «Komm herein. Du brauchst keine Angst mehr zu haben, denn Du bist ein Teil von mir. Du kannst endlich wieder nach Hause kommen.»

Um unsere Freiheit wiederzuerlangen, dürfen wir nicht vor den Qualen fliehen, sondern müssen sie aufnehmen und als einen Teil von uns selbst willkommen heissen. Niemand kann je vergessen, was ihm angetan wurde. Doch sobald wir unsere verletzten Anteile in unser Herz lassen und ihnen Fürsorge und Mitgefühl schenken, können wir Frieden schliessen mit der Vergangenheit.

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Fazit

Unter extremen Stress können sich innere psychologische Aspekte bilden, welche sich von unserer Persönlichkeit teilen und das erlebte Trauma in sich tragen. Diese werden Anteile oder, wie ich sie nenne, Persönlichkeitsteile genannt. Manchmal sind uns diese Persönlichkeitsteile nicht bewusst, doch sie können sich in Form von negativen Gedanken, Gefühlen, Körperreaktionen und Handlungen zeigen und sehr energieraubend sein.
Neben den inneren, verletzen Persönlichkeitsteilen gibt es aber auch immer Persönlichkeitsteile, welche gesund und handlungsfähig sind.

Verbinde Dich mit Deinem Erwachsenen-Teil und kümmere Dich um diese inneren verletzen Persönlichkeitsteile. Mach ihnen Mut und sprich liebevoll mit ihnen. Integriere sie in Deinem Herzen, wie oben in der Visualisierungsübung beschrieben, damit sich Sorgen, Ängste und Nöte legen und Ruhe in Deinem Innern einkehren kann.

So kannst Du wieder zurück zu Deiner Kraft kommen und Deinen Akku vollständig aufladen.

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